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Es paßt zum Thema:

Wie kann es dazu kommen, daß eine Gesellschaft sich selbst demontiert ?

Eine vierte Geschichte von Sabine Lang

Und niemand hatte Schuld . . . . (4)

Hier gibt es übrigens kein © bei Gert Redlich.

Eine Antwort.

Und wenn Du noch früher auf die Welt gekommen bist? So in den 20er, 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts? Wie muss es dieser Generation gut gegangen sein, ohne Fernsehen, Computer, Handy und Co.!

Und auch in Autos wurden die Menschen dieser Jahrgänge in ihrer Kindheit nicht herumgefahren, weder mit noch ohne Airbags. Sie mussten zu Fuß gehen, denn auch Fahrräder besaßen die meisten nicht - zu teuer. Zu Fuß zur Schule und zu Fuß zur Arbeit. Die Fabrik war manchmal zehn und mehr Kilometer entfernt und die Arbeitszeiten - na ja, die 40-Stunden-Woche kam wohl erst viel später. War das besser? Diese Generation hat es nicht anders gekannt.

Diese Generation hat die Wäsche im Kessel "gekocht" - ja, der Ausdruck "Kochwäsche" war damals wörtlich gemeint. Aber zum Kochen, ob Wäsche oder Essen, musste erst das Wasser vom Brunnen oder der Pumpe geholt werden, manchmal über viele Etagen, und der Herd musste mit Holz und Kohlen befeuert werden. Keine leichte Aufgabe. Und schmutzig wurde man dabei und hat den Kohlenstaub eingeatmet.

Um ein Mittagessen auf den Tisch zu bringen, musste man schon morgens anfangen mit dem Kochen. TK-Kost und Konserven gab es nicht. Dafür war das Essen gesünder als heute. Denke ich wenigstens. Die Kartoffeln waren von so guter Qualität, dass sie im Keller bis zum kommenden Frühjahr überlebten. Zum Bügeln der gekochten Wäsche wurde das Bügel-"eisen" - auch dieser Begriff ist durchaus wörtlich zu nehmen - auf dem Ofen erhitzt. Das Eisen war schwer, die Temperatur nicht zu regeln.

Ja, und die Schule: Die Herbstferien waren dazu da, den Eltern auf dem Bauernhof bei der Kartoffelernte zu helfen. Im Winter konnten die ärmeren Kinder nicht in die Schule gehen, weil sie keine Schuhe besaßen, aber viele mussten ja ohnehin bereits früh arbeiten und Geld für die Familie verdienen. So war das nichts mit der Schule. War vielleicht auch gut so, die Klassen waren ohnehin so groß wie es heute unvorstellbar wäre. Oder was würde ein Lehrer heute mit 60 Kindern anfangen? Zumal er seine Schüler heute nicht mehr schlagen darf, nicht mit dem Rohrstock und nicht mit der Hand. Dafür hatte er das Vergnügen, alle Jahrgänge gemeinsam unterrichten zu dürfen, zumindest in der Grundschule, die damals noch den Namen "Volksschule" trug.

Viele Kinder erkrankten an Rachitis, weil in die dunklen Hinterhöfe auch im Sommer kaum Sonnenlicht drang und weil man Vitamin D, wenn überhaupt, nur über "Lebertran" zu sich nahm. (Wer erinnert sich noch an diese "Leckerei"???). Krankheiten wie Kinderlähmung oder Hirnhautentzündung waren gefürchtet, denn von Antibiotika wusste man noch nichts.

Dafür wurden, zwecks Kommunikation, noch Briefe geschrieben - falls man dafür die Zeit fand, und abends in der Stube Märchen und Geschichten erzählt, während die Frauen sich die Finger wund strickten, um etwas Zubrot zu verdienen und die Männer sich den Staub der Tagesarbeit mit kaltem Wasser abwuschen. Das soll ja sehr gesundheitsfördernd sein.

Und hatten es die Kinder geschafft, das Jugendalter zu erreichen, dann wurde diese Generation als Kanonenfutter für den 2. Weltkrieg rekrutiert. Wie haben sie das nur überlebt? (Haben sie es denn?)

Die Entwicklungen unserer Tage sehe ich mit ebensolcher Sorge wie der Verfasser der Generationengeschichte. Als 50er-Jahre-Kind, aufgewachsen in Ruinen, in denen wir herrlich spielen konnten (war natürlich auch damals streng verboten, wurde aber eher lasch kontrolliert), vermisse ich diese Freiheit ebenso sehr wie ich die Entwicklung zur Spaß-, Konsum- und Fernsehgesellschaft mit Skepsis betrachte. Und auch mit der besten Absicht, meine drei Söhne "natürlich" aufwachsen zu lassen, bin ich damit immer wieder an Grenzen gestoßen.

In vieler Hinsicht können wir die Zeit nicht zurückdrehen. Das mag in manchen Fällen auch gut sein (siehe oben). Ich jedenfalls wollte nicht ohne Elektrizität, ohne Telefon, ohne fließend warmes Wasser und Zentralheizung, ohne Auto und ohne die zahlreichen praktischen Haushaltshelfer - vom TK-Gemüse bis zur Waschmaschine - leben, da bin ich ganz ehrlich.

Und auch auf mein Handy möchte ich nicht verzichten und ich finde es ehrlich gut, dass mir dieses Teil erlaubt, mit meinen Kindern auch in schwierigen Situationen zu kommunizieren (nicht, sie ständig zu kontrollieren).

Auf der anderen Seite liegt es aber auch viel an uns selbst, was wir aus den Segnungen/dem Fluch der modernen Zeiten machen.

  • Ich m u s s nicht meine Kinder mit McDonalds- Produkten füttern (jedenfalls nicht täglich),
  • ich m u s s nicht den Fernseher von früh bis spät laufen lassen,
  • ich m u s s nicht die Freunde meiner Kinder aus dem Haus verbannen, auch wenn ich vielleicht etwas mehr putzen muss, wenn im Herbst und Winter nicht nur die eigenen, sondern noch jede Menge Gastkinder mit ihren dreckigen Stiefeln durchs Haus flitzen,
  • ich m u s s auch nicht jeden Lehrer verklagen, der mein Kind mal etwas härter anfasst, weil es notwendig ist.
  • Ich m u s s auch meine Kinder nicht mit dem Auto zur Schule fahren und
  • die Kinder m ü s s e n nicht ins Ballet, zum Musikunterricht, zum Tennis und in den Reitverein. Sie spielen ohnehin lieber im eigenen Garten, wenn sie das denn dürfen, oder auf dem Rasen im Park, aber das ist ja meistens nicht gestattet.


Ich muss mit ihnen an Geburtstagen auch nicht in den Freizeitpark fahren, es genügt zumeist, wenn man ein paar Spielkameraden einlädt und die "alten" Spiele aus unserer eigenen Kindheit sind inzwischen so unbekannt, dass Topfschlagen oder die Reise nach Jerusalem wieder richtig Spaß machen können. Nintendo und x-Box kaufen die Kinder sich nicht selbst, und auch der Fernseher übersteigt in der Regel das Budget auch von Kindern, die mit richtig viel Taschengeld bedacht werden.

Ich bin nicht blauäugig, ich weiß dass vieles nicht mehr von uns Eltern zu steuern ist. Die Videospiele, die wir verbieten, werden bei Freunden gespielt, die verbotenen Filme in der Schule diskutiert. Es geht auch nicht um Verbote oder weltfremde Rückentwicklungen ins vorige Jahrhundert, sondern um das Vorleben eines vernünftigen Umganges mit den Medien, die gar nicht mehr so "neu" sind, um die Auseinandersetzung mit dem Nachwuchs, das Erklären, warum wir die Dinge so und nicht anders sehen, und schließlich um die Bereitstellung der Möglichkeiten, dass die Kinder so spielen und sich beschäftigen können, wie wir es für gut und richtig halten.

Dabei reicht es nicht, über die "schlechten Zeiten" zu jammern, wir sind uns doch eigentlich alle einig - also ändern wir was! Aber ich merke plötzlich, das kostet Zeit und Energie, die wir - selbst in den Alltag des 21. Jahrhunderts eingebunden - oft genug nicht zu haben glauben.

Wir sollten sie uns trotzdem nehmen. Ich bin ganz sicher, dass es sich auszahlt. Wir werden nicht die ganze Welt ändern, aber vielleicht ein ganz kleines Stückchen davon.

Vor allen Dingen werden wir aber unseren Kindern damit etwas Wichtiges mit auf den Lebensweg geben: Die Gewissheit, dass wir uns für sie und ihren Lebensweg interessieren, nicht nur unter dem Aspekt einer möglichst guten (=hohen) Schulbildung, und dass wir ihnen zumindest ein kleines Stückchen Kindheit ermöglichen, so wie wir selbst sie hatten: mit Seifenkisten, Butter dick und Straßenfußball, ohne Rechtsanwalt, dafür mit Verantwortung und vernünftigen Grenzen, denn das ist es wohl, was der heutigen Kindergeneration am meisten fehlt.

Autor: Dr. Sabine Lang

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